Zitat von
Datura
Obama hat stimmenmäßig knapper gewonnen als staatenmäßig. Bei der ersten Bush-Wahl hat Al Gore mehr Stimmen bekommen als Bush, und trotzdem ist Bush Präsident geworden. Ziemlich genau jeder zweite US-Bürger hat Romney gewählt, und die kommen jetzt auch nicht von einem anderen Stern als wir, man kann sie schon versuchen zu verstehen.
Ich kenne keinen Amerikaner, war nie in Amerika, will auch nicht unbedingt hin, aber ich meine schon, mich in das Romney-Bewußtsein einfühlen zu können, ansatzweise und unter Beachtung der Umstände.
Wir reden hier ja nie von "den" Amerikanern oder "den" Europäern, die es bekanntermaßen nicht gibt. Aber im gesellschaftlichen Korrdinatensystem gibt es doch gewisse Positionsverschiebungen, die Rückschlüsse auf die Denkweise eines großen Teils der jeweiligen Bevölkerungen zulassen. In Amerika gibt es keine Zäpfchen zu kaufen, weil "die" Amerikaner zu prüde für sowas sind. Es gibt schon Unterschiede zu Europäern, über die muß man reden will man das Romney-Phänomen verstehen.
Die amerikanische Bevölkerung ist so wenig homogen und so gespalten, daß nur mit einem teilweise grotesk anmutenden Patriotismus sowas wie ein amerikaweites Nationalgefühl erzeugt werden kann, mit dem sich von Ostküste bis Westküste jeder Amerikaner identifizieren kann. Ein Italiener ist ein Italiener, das weiß er auch ohne patriotische Orgien wie sie in den USA gefeiert werden. Unter dem dünnen Firnis der amerikanischen Chancengleichheit herrscht Spaltung, Rassismus, tatsächliche Chancenungelichheit und Bildungsmangel. Deswegen muß der Präsident ein "echter" Amerikaner sein, der die wenigen Werte, auf die ein Amerikaner sich stützen kann, zusammenhält, und Romney ist eben in der geschwungenen Linie der bisherigen US-Präsidenten amerikanischer als Obama.
Meiner Meinung nach leidet "der" Amerikaner unter Identitätslosigkeit. Er hat vielleicht Vorfahren weiß Gott wo, aber jetzt lebt er in einem Land, mit Menschen weiß Gott wo überall her, weiß Gott welcher Ethnie angehörend und welcher Religion zugehörig. Es fehlt dem amerikanischen Bürger an gewachsenen Identifikationsmerkmalen, die die Europäer mit ihren gewachsenen Kulturen und ihrer eng verflochtenen Wirtschaftsstruktur größtenteils noch haben. Da bekommen dann weltanschauliche Festungen wie die Bibel, das Christentum und die Congregation eine immense Bedeutung, denn das Christentum bietet eine geschlossene Weltanschauung, an der man sich geistig emporranken kann, was sonst nur eine nationale ethnische Homogenität bieten kann. Eine gemeinsame Historie und eine gemeinsame Abstammungsgeschichte bietet nun mal ein gutes Identifikationsmerkmal. Eine gemeinsame Religion auch.
Aus dem Grund radikalisieren sich Muslime in Deutschland teils stärker als in muslimischen Ländern, denn in ihre aussichtslose Suche nach Identifikation, Lebenssinn und gesellschaftlichem Halt außerhalb der geschlossenen deustchen Gesellschaft stößt die strenge (oder streng ausgelegte) Ideologie des Islam, die Antwort auf alle Fragen liefert und ein sinnvolles Lebensmodell bietet.
Die streng bibelgläubigen Amerikaner glauben sicher zum Großteil selbst nicht wirklich an die Schöpfungstheorie, aber es geht für sie einfach nicht, daß jemand auch nur einen Millimeter an den Grundfesten ihrer Identifikationsstruktur rüttelt, der Bibel, selbst wenn derjenige noch so recht hat. Deshalb tut ein Romney einem bibeltreuen Amerikaner gut, er vermittelt, daß die gesellschaftlichen Grundlagen und Werte noch Bestand haben.
Amerika ist systemkonservativ, einfach weil gewisse Dinge amerikanisch sind, wie zb auch das verschrobene amerikanische Wahlsystem aus der Anfangszeit der Besiedelung, als die Wahlmänner noch mit der Pferdekutsche die Stimmzettel überbringen mußten und deshalb die Auszählung mittels Wahlmännern vereinfacht werden mußte. Das hätte man längst mal reformieren können. Will man aber nicht, denn ist so amerikansich wie das Recht auf eine Schußwaffe, und da können noch so viele Kinder Amok laufen, ein Großteil der Bevölkerung glaubt an die Schußwaffe als Problemlöser. Oder an die unbemannte Drohne. Daran glauben auch Obama-Wähler, so wie es aussieht. Beständigkeit gibt dem Amerikaner Halt, und nicht nur dem Amerikaner. Warum hat Bayern jahrzehntelang den Senat unterhalten? Weil es einfach so bayerisch war. Man war stolz darauf, was zu haben, was die anderen nicht haben, den Blödsinn hat man sich viele Millionen kosten lassen. Zum Glück war am Ende die Vernunft doch ein bißchen größer als das Bedürfnis nach bayerischen Unverwechselbarkeiten.
Kein Präsident hätte Amerikas Landschaften 4Jahre nach dem Finanzcrash wieder erblühen lassen können, deshalb hat auch Obama es nicht geschafft. Auch weil die Rebublikaner Reformen erfolgreich verhindert haben. Deshalb konnte Romney die unzureichende Obama-Politik der letzten Jahre für sich zum Vorteil schmieden. Noch ein Grund ihn zu wählen.
Und ich bin mir sicher, daß "der weiße Mann" in den USA langsam das Hosenflattern kriegt, und um seine Macht im Land fürchtet, bei so vielen einwandernden und sich vermehrenden Nicht-Weißen. Noch ein Grund, Obama nicht zu wählen. Ich glaube, Amerikaner wählen weniger rational, sondern mehr emotional, gegenüber beispielsweise Deutschen.
Da kommt schon einiges an Gründen zusammen, und wie gesagt werden viele Romney-Wähler dies nicht aus Überzeugung getan haben, sondern vielmehr aus Obama-Ablehnung. Und Obama-Wähler werden zum großen Teil aus Romney-Ablehnung gewählt haben, zumindest wenn sie konservativ aber dennoch halbwegs bei Sinnen sind.